Schulleitung – Ein Weg für mich?
Schulleitung – Ein Weg für mich?
„Schulleiter gesucht“, Überschriften wie diese hat man in den letzten Jahren in regionalen wie überregionalen Zeitungen und Zeitschriften wahrlich des Öfteren gelesen. „Mangel an Schulleitern – 1000 Grundschulen finden keinen Chef“, so z.B. die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 19.06.2016! Obwohl es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Befunde zum Thema „Unbesetzte Schulleitungs- und Funktionsstellen“ gibt, gehen die Erklärungsmuster für diesen Zustand unisono meist in die gleiche Richtung. Lehrerverbände und Interessenvertretungen von Schulleiterinnen und Schulleitern der unterschiedlichen Schulformen weisen in diesem Zusammenhang – und das mit Recht – einerseits auf die extrem hohe Arbeitsbelastung und andererseits die eher bescheidene Besoldung in einzelnen Schulformen hin.
Angesichts des zeitlichen Umfangs und der hohen, auch psychischen Belastungen, die mit der Leitung einer Schule, dem Umgang mit gelegentlich durchaus aktionistisch motivierten Vorgaben der politisch Verantwortlichen und einer Bildungsverwaltung verbunden sind, die auf neue vermeintliche oder tatsächliche Problemlagen unmittelbar reagieren muss, kann man nicht oft genug darauf hinweisen, dass Schulleitungen spürbar entlastet und vor allem in den Grundschulen deutlich besser bezahlt werden müssen. Dies auch mit Blick auf den Druck, der mit einer zunehmend heterogener werdenden Klientel aus Schülern, Eltern und Kollegien verbunden ist.
Die Anzahl vakanter Schulleiterstellen, die die Bildungsverantwortlichen derzeit vor ein erhebliches Problem stellt, bietet für die nächsten Jahre aber auch die Chance, geeignete Pädagogen zu motivieren, zu gewinnen und im Vorfeld einer Bewerbung angemessen zu qualifizieren. Ein Gesichtspunkt, der in der Vergangenheit in den meisten Bundesländern zu kurz gekommen ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Berufen wird die berufliche Karriere von Studierenden der Lehramtsstudiengänge meist nicht schon bei Studienbeginn oder Berufseintritt in den Blick genommen. Das individuelle Berufsziel ist das des Lehrers. Oft ist der erste Schritt auf dem Weg bis hin zur erfolgreichen Bewerbung um eine Funktionsstelle daher erst durch den Rat von Freunden und Kollegen, die freundliche Aufforderung des Schulleiters etc. angestoßen worden. Auch fällt es manchem guten Pädagogen schwer, sich auf ein stärkeres Engagement in der Leitung einer Schule einzulassen und damit weniger Zeit für das eigentliche Anliegen des Lehrerberufs, das Unterrichten und die unmittelbare Arbeit mit jungen Menschen, zu haben. Hier gilt es, alle Möglichkeiten der Identifizierung, der Gewinnung und Förderung derjenigen auszuschöpfen, die die Entwicklungspotenziale für die Wahrnehmung von herausgehobenen Funktionen in der Schule und der Schulaufsicht mitbringen.
Inzwischen gibt es bundesweit immerhin Ansätze zum Beispiel in der Schulleiterqualifizierung, auch wenn die meist nicht weit genug gehen. So werden zur Zeit die Schulleiter hessischer Schulen in Schulleiter-Dienstversammlungen mit einem neuen „Qualifizierungsmodell für künftige Schulleiterinnen und Schulleiter in Hessen“, kurz: QSH, vertraut gemacht. Obwohl im Verlauf der unvermeidlichen Powerpoint-Präsentationen zu „Anforderungs- und Kompetenzprofilen“, „Basismodulen“ und „Kamingesprächen“ immer wieder betont wird, wie wichtig die Rückmeldung und Expertise der anwesenden Schulleiterinnen und Schulleiter sei, wirken die Angesprochenen beim Blättern in den reichlich vorhandenen Hochglanzbroschüren oft ein wenig ratlos. Vieles von dem, was angeboten werden soll und vom Ministerium für unbedingt notwendig gehalten wird, hat zum Teil mit ihrem schulischen Alltag nur wenig zu tun. Viele finden das neue Modell, das die Nachwuchsprobleme lösen soll, zu aufwändig, zu teuer, realitätsfern und bedauern den Wegfall mancher durchaus bewährter Angebote, denn QSH braucht ganz viele Ressourcen, die dann unter Umständen für anderes einfach fehlen werden.
Vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung, die Schulleiterinnen und Schulleiter indirekt für den Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler haben – „Auf den Schulleiter kommt es an!“, so der „SPIEGEL“ (Nr. 44/2013, S. 17) – ist es zweifellos notwendig, die „Königsrolle“ in der Schule mit hoch qualifizierten Nachwuchskräften zu besetzen. Dass es keine guten Schulen ohne gute Schulleitung gibt, gehört inzwischen zu den gesicherten Erkenntnissen zahlreicher Untersuchungen zur nachhaltigen Wirksamkeit von Veränderungsprozessen in der Schule. Fraglich erscheint vielen, ob der gewählte Ansatz dies tatsächlich wird leisten können. Es gibt viele Beispiele dafür, dass zentral vorgegebene Top-Down-Programme nicht unbedingt die erwarteten Effekte zeigen und zur Verbesserung schulischer Strukturen beitragen. Die Schulinspektion, die es in Deutschland in 16 recht unterschiedlichen Varianten gibt, kann durchaus als Beispiel dafür stehen, wie mit einem unglaublich hohen finanziellen und logistischen Aufwand lediglich geringe Erfolge bezogen auf die Einzelschule und deren Arbeit erzielt wurden. Maßnahmen, über die Schulleitungen vor Ort und unter Berücksichtigung der gegebenen Bedingungen und Möglichkeiten selbst entscheiden konnten und schließlich auch entschieden haben, waren diesen Ansätzen oft und deutlich überlegen.
Auf Schulleitungstreffen offizieller und inoffizieller Art kann man das paradoxe Phänomen beobachten, dass Schulleiterinnen und Schulleiter einerseits auf sehr hohem Niveau dies oder jenes kritisieren oder angesichts ihrer hierarchisch definierten Position vermeintlich fehlende Handlungsalternativen beklagen, andererseits jedoch auch immer wieder die Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass sie die eine oder andere Veränderung auf den Weg gebracht, auf kreative Weise dieses oder jenes drängende schulische Problem gelöst oder gar ein innovatives Entwicklungsziel erreicht haben. Die viel zitierten und allseits gefeierten „Leuchtturm-Schulen“ sind das beste Beispiel für solches Schulleitungshandeln, das von der Situation der eigenen Schule, ihren Bedürfnissen, aber auch Möglichkeiten ausgeht und immer wieder erfolgreiche Lösungen findet. Die Schulleitung, die ihre kommunikativen Fähigkeiten und Spielräume nutzt, spielt hierbei die entscheidende Rolle.
Offensichtlich also – und das lässt sich in Gesprächen mit Schulleiterinnen und Schulleitern immer wieder hören – ist die Leitung einer Schule eine Aufgabe, die Spaß machen und ein hohes Maß an beruflicher Zufriedenheit bieten kann, weil sie abwechslungsreich, anspruchsvoll und auch spannend sein kann, vor allem jedoch weil sie Gestaltungsspielräume und damit die Möglichkeit zu positiven Veränderungen bietet. Nicht umsonst ist die Burn-Out-Rate bei Schulleitungsmitgliedern geringer als bei Lehrerinnen und Lehrern. Die Frage ist, warum man nicht sehr viel stärker diesen positiven Ansatz in den Mittelpunkt der Nachwuchskräftegewinnung und –qualifizierung stellt. Umfassende Programme und Angebote wie QSH in Hessen oder SLQ in Nordrhein-Westfalen sollen hierdurch keinesfalls generell in Frage gestellt, aber eventuell ergänzt, bereichert und vielleicht sogar optimiert werden.
Das Umfeld, in dem dies am ehesten möglich scheint, ist die Bildungsregion, insbesondere wenn sie gut vernetzt ist. Hier stößt man auf die Problemlagen, die offenen Fragen und den Handlungsbedarf, hier findet man aber auch Lösungsansätze, Handlungsalternativen, kreative Ideen sowie das kompetente Personal, das man zur Umsetzung benötigt. Im Vorfeld groß angelegter Programme und Konzepte einzelner Bundesländer zur Nachwuchskräfteentwicklung gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, junge Kolleginnen und Kollegen für Führungsaufgaben zu sensibilisieren, ihr Interesse zu wecken und sie eventuell dafür zu motivieren, die Übernahme von Schulleitungsaufgaben als berufliches Alternativangebot zu erkennen und sich dementsprechend zu verhalten und zu positionieren.
Das gelingt am ehesten, wenn man sich bei solch niedrigschwelligen Angeboten an einigen wenigen Grundsätzen orientiert:
- Die Teilnahme ist unverbindlich und verpflichtet zu nichts. Sie dient lediglich der Orientierung und der Auseinandersetzung mit der Frage, ob Schulleitung eine Aufgabe für einen selber sein könnte und ob man sich geeignet dafür hält. Auch die Erkenntnis, dass Schulleitung für einen selbst nicht in Frage kommt, ist wichtig, vielleicht gibt es ja andere berufliche Richtungen, Aus- und Fortbildung beispielsweise.
- Bei der Planung einer solchen Veranstaltung sind Wünsche, Fragen und Interessen der Teilnehmenden unbedingt mit zu berücksichtigen, denn die wissen am ehesten, was für sie wichtig und hilfreich ist. Eine solch offenes Konzept muss sich immer wieder neu an der jeweiligen Gruppe orientieren, ohne dass Wiederholungen ausgeschlossen und fundierte Informationen vernachlässigt werden.
- Die Anmeldung für eine solche regionale Veranstaltung erfolgt durch die Schulleitung der eigenen Schule. Dort weiß man am besten, welche Talente es im Kollegium gibt und wie man sie motivierend ansprechen und für ein solches Angebot gewinnen kann. Zudem vermittelt es jüngeren Kolleginnen und Kollegen ein gutes Gefühl, wenn sie auch auf diese Weise erfahren können, dass die Schulleitung ihre Arbeit wertschätzt und ihnen offenbar eine Menge zutraut.
- Bei der organisatorischen und inhaltlichen Ausgestaltung eines derartigen Angebotes zur Nachwuchskräfteentwicklung sollte man auf das personelle Know How zurückgreifen, das in der Region sicherlich vorhanden ist. Schulaufsichtsbeamte, Schulleiterinnen und Schulleiter, Schulleitungsmitglieder und andere pädagogische Fachkräfte, die in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich gute Arbeit leisten, sind in der Regel bestens geeignet und häufig auch bereit, authentisch und motivierend über ihren Alltag, ihre Erfolge, aber auch Frustrationen zu berichten und auch ungewöhnliche Fragen zu beantworten. Auch hier geht es, wie generell bei Schulleitung, in erster Linie um Kommunikation.
- Im Rahmen eines solchen auch informellen Angebotes muss auch immer Platz sein für Zwischentöne, Grauzonen und individuelle Problemlösungen, denn die reine Lehre oder der Buchstaben des Gesetzes bzw. der Verordnung lassen sich leicht finden, sind aber in vielen Situationen vielleicht gar nicht so hilfreich, wie man erwartet oder auch hofft. Schließlich sind es doch gerade die Interpretationsspielräume und Handlungsmöglichkeiten, die man in einem solchen Kontext wahrnehmen kann oder auch wahrgenommen hat, die viele Schulleitungsaufgaben so abwechslungsreich, interessant und befriedigend machen können. Und genau darüber sollte man deshalb auch sprechen und kreative Vorschläge nicht tabuisieren. Dies ist hilfreicher als die Auflistung von Kompetenzrastern, Verordnungen und Aufgabenfeldern.
Nach der Veröffentlichung unseres Buches „Vom Lehrer zum Schulleiter. Wege und Chancen der beruflichen Weiterentwicklung in der Schule“ (Wolters Kluwer/Carl Link 2014) traten viele Schulleiterinnen und Schulleiter der Region Gießen/Vogelsberg mit dem Wunsch an uns heran im Rahmen des Netzwerkes „Voneinander Lernen“ (vgl. Schulverwaltung 9/2016) ein Angebot zur Nachwuchskräfteförderung zu machen. Auf der Basis dieser Aufforderung bot sich die Möglichkeit, das oben beschriebene Konzept in der Praxis zu erproben und die Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen.
Von den Schulleitungen der Sekundarstufen-Schulen im Schulamtsbezirk Gießen-Vogelsberg (das Angebot war zunächst auf diese Schulen beschränkt) wurden insgesamt 26 geeignete Teilnehmerinnen und Teilnehmer direkt bei dem regionalen Koordinator des Netzwerkes „Voneinander Lernen“ angemeldet. In einem ersten Austausch- und Planungstreffen standen die bisherigen Tätigkeiten der Teilnehmenden an ihren jeweiligen Schulen (es ist immer wieder erstaunlich, was talentierte Kolleginnen und Kollegen an ihren Schulen alles leisten und wie belastbar sie mitunter sind) sowie ihre Erwartungen und Wünsche an ein Veranstaltungsangebot, das für die spätere Wahrnehmung von Schulleitungsaufgaben sensibilisieren, interessieren und motivieren sollte.
Aufgrund der Rückmeldungen und Interessen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurde eine Reihe von insgesamt 5 Veranstaltungen bzw. Bausteinen geplant, die als Fortbildungsveranstaltung auch entsprechend akkreditiert wurden. Im Einzelnen ging es im Laufe eines halben Jahres um folgende Themen:
- Informationen zum Bewerbungsverfahren (mit Schulaufsichtsbeamten);
- Regionale und überregionale Fortbildungsangebote (mit regionalen Fortbildnern und Mitarbeitern der hessischen Führungsakademie);
- Übersicht: Schulleitungsaufgaben und Praxiserfahrungen (mit regionalen Schulleitungsvertreterinnen und -vertretern);
- Umgang mit Rollenkonflikten (mit regionalen Schulleitern);
- Feedback und Abschluss
Von den 26 Teilnehmerinnen und Teilnehmern verabschiedeten sich fünf relativ bald. Sie waren entweder schon weiter in ihrer Karriereplanung, hatten daher andere Bedürfnisse oder sie nutzten den Anstoß einer solchen Veranstaltung, sich Gedanken über ihre Lebensplanung zu machen, aber immerhin 21 blieben bis zum Schluss und gaben am Ende ein sehr positives Feedback, in dem in erster Linie die Offenheit, die Praxisorientierung des Angebots, seine Realitätsnähe und die motivierenden Berichte der erfahrenen Praktiker gelobt wurden. Vor allem aufgrund dieser guten Erfahrungen, die im Übrigen auch von den Referentinnen und Referenten geteilt wurden, soll es im kommenden Schuljahr erneut ein solches Angebot in der Region geben, das zudem für weitere Schulformen geöffnet sein wird.
Inzwischen gab es aus dem Teilnehmerkreis dieser ersten Veranstaltungsreihe vereinzelt konkrete Bewerbungen auf frei gewordene Funktionsstellen, auch Interesse an einer Abordnung ins Schulamt und manche Anmeldung für weitere Qualifizierungsangebote der hessischen Führungsakademie. Es ist davon auszugehen, dass es aus dem Teilnehmerkreis auch den einen oder die andere geben wird, die für QSH gemeldet werden, vielleicht gerade weil sie sich früh auf unkonventionelle Weise mit der Herausforderung Schulleitung und den damit eventuell einhergehenden positiven Erfahrungen und Möglichkeiten beschäftigt haben. Insofern können regionale Angebote wie die skizzierte Fortbildungsreihe sehr wohl wichtige Ergänzungen und Bereicherungen für die großen Programme sein, zumal die offenbar auch ihre Schwächen haben und Dinge nicht leisten können, die im regionalen Umfeld eher vermittelt werden können.